Prävention sexuellen Missbrauchs an Kinder und Jugendlichen mit Behinderung
Bei der SeMB Studie handelte es sich um eine prospektive Befragungs- und Interventionsstudie zum sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen mit körperlicher, geistiger und Hörbehinderung. Neben einer Bestandsaufnahme über sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen mit Behinderung wurden Verhaltensauffälligkeiten im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch erhoben. Darüber hinaus wurde ein Fortbildungskonzept für (angehende) Lehrer/-innen an Förderschulen und pädagogische Fachkräfte in Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe sowie ein Präventionstraining für Kinder und Jugendliche mit den o.g. Behinderungsformen entwickelt und evaluiert.
Zentrale Ergebnisse
Bestandsaufnahme:
An der Online-Befragung nahmen 125 Schulleitungen sowie 391 Lehrkräfte aus Schulen mit den Förderschwerpunkten „Geistige Entwicklung“, „Körperlich-motorische Entwicklung“ sowie „Hören und Kommunikation“ teil.
Knapp 1/3 (31.9%) der Schulleitungen berichten von mindestens einem gesicherten Fall sexuellen Missbrauchs innerhalb der letzten 12 Monate an ihrer Schule. Hingegen berichteten über 1/5 (21.1%) der Lehrer/innen von mindestens einem gesicherten Fall innerhalb der letzten 12 Monate.
Über die Hälfte (54.1%) der Schulleitungen gab an, dass es mindestens einen Verdachtsfall innerhalb der letzten 12 Monate an ihrer Schule gab. Über 1/3 (37.9%) der Lehrer/innen berichten von mindestens einem Verdachtsfall sexuellen Missbrauchs innerhalb der letzten 12 Monate.
Die Lehrkräfte machten im Weiteren Angaben über den zuletzt bekannt gewordenen Fall innerhalb der letzten 12 Monate. Bei 70 % handelte es sich um Schülerinnen und bei 30% um Schüler, die sexuellen Missbrauch erfuhren. In 61% fand der sexuelle Missbrauch außerhalb der Schule, in 34% in der Schule und zu 5% virtuell, im Internet statt. In 67% der Missbrauchsfälle handelte es sich um mehrmalige Ereignisse (bis der Missbrauch bekannt wurde). Sexueller Missbrauch umfasste u.a. zu 29,8% Berührungen an den Brüsten oder Geschlechtsteilen, 18,6% das gedrängt werden, die übergriffige Person an intimen Körperstellen zu berühren, zu 17,8% die versuchte oder erfolgte vaginale, anale oder orale Penetration und zu 13,6% verbale sexuelle Übergriffe, sexuelle Belästigung. In 30,1% der Fälle vertraute sich der/die Schüler/in einer Lehrkraft an, in 15% der Fälle trugen Verhaltensauffälligkeiten des/der Schülerin dazu bei, den Ursachen hierfür auf den Grund zu gehen.
Lehr- und Fortbildungskonzept
Die Fortbildung wurde in einem sog. Experimental- und (Warte-) kontrollgruppendesign zu drei Messzeitpunkten (Prä-/Post und Follow-Up Erhebung) durchgeführt. Das Fortbildungskonzept beinhaltete eine 2-tägige Basisfortbildung, die aus 11 Themenbereichen bestand. Der Fragebogen beinhaltete u.a. Fragen zum deklarativen Wissen, zur Mythenakzeptanz (dt. Version des „Child Sexual Abuse Myth Scale“, CSAM, Collings, 1997), zu Einstellungen und hemmenden Gefühlen (Glammeier & Vogelsang, i.Vorb.), zur subjektiven Handlungssicherheit und Zufriedenheit mit der Fortbildung. An den Fortbildungen nahmen 391 Studierende (BA Sonderpäd., mit den Förderschwerpunkten GE, HK oder KmE), 366 Förderschullehrer/innen und 140 päd. Fachkräfte aus Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe (Bethel.regional) teil.
Im Vergleich zur Wartekontrollgruppe zeigte sich, dass die zweitägige Fortbildung zu einem signifikanten und praktisch bedeutsamen Zuwachs auf der Ebene des deklarativen Wissens bei den Lehrkräften führt, der auch sechs Wochen nach der Fortbildung signifikant höher als vor der Fortbildung war. Die Ergebnisse zeigen ferner, dass durch die Fortbildung eine positivere Einstellung zur Prävention erzielt werden kann. Zudem hatte die Fortbildung einen starken Effekt auf die berichtete Handlungssicherheit der teilnehmenden Lehrkräfte der Experimentalgruppe im Vergleich zur Wartekontrollgruppe. Die Fortbildung führte zudem zu einer deutlichen Reduktion von hemmenden Gefühlen im Umgang mit Verdachtsfällen und hatte einen signifikanten, wenn auch kleinen Effekt auf den Abbau von Mythen, im Vergleich zur Wartekontrollgruppe. Die Ergebnisse decken sich weitgehend mit den Ergebnissen für Studierende sowie pädagogische Fachkräfte
Präventionstraining
Das Präventionstraining wurden in einem sog. Experimental -und Wartekontrollgruppendesign zu drei Messzeitpunkten (Prä-/Post und Follow-Up Erhebung) durchgeführt. Das Präventionstraining umfasste 5 bzw. 6 Tage und bestand aus 5 Themenbereichen und einem Wiederholungsbaustein. Die Testbatterie bestand aus einem kindzentrierten Interview sowie einem Fragebogen für Eltern- und Lehrkräfte. Ergänzend wurde einmalig eine standardisierte Leistungs- und Sprach-/Kommunikationsdiagnostik mit den Kindern durchgeführt bzw. erhoben, um u.a. weitere Aussagen über die Wirksamkeit des Trainings für einzelne Gruppen treffen zu können. Das Interview beinhaltete Fragen zum Körper, zu Gefühlen, Berührungen, Geheimnissen sowie Strategien zum Hilfe holen (u.a. dt. WIST Version, Würtele et al., 2008). Auf Ebene der Eltern/Lehrer/innen wurden u.a. Fragen zu möglichen Auswirkungen des Trainings erhoben. An dem Präventionstraining nahmen 157 Kinder und 84 Jugendliche teil.
Kinder, die am Training teilnahmen, wiesen im Vergleich zu Kindern die nicht (bzw. erst später) am Training teilnahmen, signifikant bessere Ergebnisse im Anschluss an das Training zum Themenbereich „Körper“ auf und bessere Ergebnisse im Zusammenhang mit „Gefühlen“. Ferner erzielten die Kinder signifikant bessere Ergebnisse im Bereich „Berührungen“ als die Kinder der Wartekontrollgruppe. Ähnlich verhält es sich mit Kenntnissen zu Sicherheitsstrategien (Handlungskompetenz und Weitersagen). Kinder der Experimentalgruppe wiesen noch sechs Wochen nach dem Training signifikant bessere Ergebnisse auf als die Kinder der Wartekontrollgruppe. Es liegen hoch signifikante Interaktionseffekt zwischen den Faktoren Zeit und Gruppe vor. Vereinzelt zeigen sich unterschiedliche Ergebnisse für das Geschlecht sowie in Bezug auf die kognitive Leistungsfähigkeit der Kinder.
Übersicht
Projekttitel | Prävention sexuellen Missbrauchs an Kinder und Jugendlichen mit Behinderung |
Projektleitung / Projektbeteiligte | Prof. Dr. Pia Bienstein & Prof. Dr. Thomas Kaul (Universität Köln) sowie Bethel-regional, Forschungsteam, Beirat und Lenkungskreis (siehe http://semb.fk13.tu-dortmund.de/cms/de/Start/) |
Drittmittelgeber | BMBF |
Förderzeitraum | 2013-2016 |
Internetseite | http://semb.fk13.tu-dortmund.de/cms/de/Start/ |
Anmerkungen (z.B. Quellen) |